John Stuart Mill: Nützlichkeit als Grundlage moralischen Handelns

In seinem Werk „Utilitarianism“ [Utilitarismus] stellt der britische Philosoph und Ökonom John Stuart Mill Nützlichkeit, bzw. die Maximierung von „happiness“ [Glück] in den Mittelpunkt moralisch korrekten Handelns.
Eine Handlung ist demnach dann moralisch richtig, wenn sie das Glück mehrt und moralisch falsch, wenn sie in der Summe ihrer Folgen „unhappiness“ [Unglück] hervorruft. Glück definiert Mill als „pleasure“ [Lust] und das Fehlen von „pain“ [Unlust]; und Unglück dementsprechend als das Gegenteil.
Nach Mill hat Glück nicht nur quantitative Eigenschaften (wie Beständigkeit oder Verlässlichkeit), sondern kann sich auch in seiner Qualität unterscheiden. Qualitativ höherwertiges Glück ist das, was von einem gebildeten Geist ausgewählt wird, als das Glück, das seinen Fähigkeiten entspricht.
Bei der Auswahl von Handlungsalternativen hat der Entscheidungsträger die Alternative auszuwählen, die insgesamt für die Menge der Betroffenen am nützlichsten ist.

Utilitarismus wurde zu Mills Zeiten (und gewiss auch heute) mit Nützlichkeit und Lust in Verbindung gebracht. Um entgegengesetzte Meinungen zu widerlegen, stellt Mill deshalb eingangs klar, dass Lust und Nützlichkeit nichts Widersprüchliches sind, sondern Nützlichkeit „die Lust selbst und das Freisein von Schmerz“1 (S. 11) bzw. „auch das Angenehme und Gefällige“ (S. 12) sei.
Nach dieser einleitenden Feststellung beginnt Mill gleich mit seiner Hauptaussage:
„Die Auffassung, für die die Nützlichkeit oder das Prinzip des größten Glücks die Grundlage der Moral ist, besagt, daß Handlungen insoweit und in dem Maße moralisch richtig sind, als sie die Tendenz haben, Glück zu befördern, und insoweit moralisch falsch, als sie die Tendenz haben, das Gegenteil von Glück zu bewirken. Unter ‚Glück‘ [happiness] ist dabei Lust [pleasure] und das Freisein von Unlust [pain], unter ‚Unglück‘ [unhappiness] Unlust und das Fehlen von Lust verstanden.“ (S. 13)
Unter diese Definition fallen nach Mill sämtliche wünschenswerten Dinge, weil sie entweder selbst lustvoll sind, Lust fördern oder Unlust vermeiden.

Im folgenden geht Mill auf eine geläufige Kritik seiner Haltung ein: Wenn das Streben nach Lust anstelle eines Höheren im Mittelpunkt des Lebens steht, unterscheidet uns nach Meinung der Kritiker nichts von den Schweinen, die ja das gleiche Ziel haben. Diese Kritik entkräftet Mill treffend mit der Entgegnung, dass die Angreifer damit unterstellten, dass die menschliche Lust mit der der Schweine identisch sei. Denn nur in diesem Falle würde eine Gleichstellung Sinn machen. Allerdings wäre sie dann auch keine Beleidigung mehr, und da sie als solche gemeint ist und darauf abzielt, dass „die Lust des Tieres der menschlichen Vorstellung von Glück nicht gerecht wird“, widersprechen sich die Kritiker in diesem Punkte selbst.
Mill erweitert an dieser Stelle den Ansatz der meisten anderen utilitaristischen Autoren, welche die „geistigen Freuden“ den körperlichen nur auf Grund quantitativer Merkmale wie längerer Beständigkeit vorziehen. Analog zu der Beurteilung anderer Gegenstände nach Menge und Beschaffenheit sollte auch bei der Beurteilung von Freuden die Qualität Berücksichtigung finden. Eine Freude sei dann von höherer Qualität, wenn die meisten, die von der Entscheidung zwischen mehreren Freuden betroffenen sind, sie „auch dann noch vorziehen, wenn sie wissen, dass sie größere Unzufriedenheit verursacht, und sie [sie] gegen noch so viele andere Freuden, die sie erfahren könnten, nicht eintauschen möchten.“ (S. 16).
So würde beispielsweise kaum ein Mensch zustimmen, sich in ein niederes Tier verwandeln zu lassen, selbst wenn er alle Freuden dieses Tieres voll auskosten dürfte. Dies liegt eben daran, dass die qualitativ höhere menschliche Freude der minderwertigen tierischen Freude – auch trotz derer größerer Quantität – der letzteren vorzuziehen ist. Gleiches gilt auch für andere Beispiele, wie dem Verhältnis zwischen gebildetem Menschen und „Dummkopf“.

Die Tatsache, dass wir ein unzufriedenes Leben mit schwer zu erreichendem Glück, das aber aus unseren „höheren Fähigkeiten“ erwächst, einem zufriedenen Leben mit viel minderwertigem Glück vorziehen, schreibt Mill dabei der Würde zu. Die [Menschen-]Würde macht für diejenigen, bei denen sie besonders stark ausgeprägt ist, einen „so entscheidenden Teil ihres Glücks aus“, dass diese nichts auch nur im Ansatz begehren könnten, das mit ihrer Würde unvereinbar ist.
Wer dieser These widerspricht, vermengt dadurch laut Mill die Begriffe happiness [Glück] und content [Zufriedenheit]. Mill erkennt, dass die geistig Armen leichter zufrieden zu stellen sind. Glücklich können Sie jedoch nicht werden.
Im Übrigen bedarf die Fähigkeit, höheres Glück zu schätzen, stetiger Pflege, sonst verkümmert sie mit der Zeit.

Es gibt also mindestens zwei Arten von Glück, von denen die eine qualitativ hochwertiger ist. Beim Utilitarismus kommt es aber darauf an, die Gesamtmenge an Glück zu maximieren. Dabei hat derjenige, der vor einer Entscheidung steht, das Glück aller von der Entscheidung direkt betroffenen Individuen zu betrachten und schließlich die Alternative auszuwählen, welche insgesamt am nützlichsten ist.
In diesem Sinne kann auch Märtyrertum anerkannt werden, wenn der, der sich aufopfert, dem persönlichen Opfer eine höhere Gesamtmenge an Glück für andere Menschen gegenüberstehen sieht.
Aus der obigen Entscheidungsregel ergibt sich allerdings auch, dass es für die Bewertung einer Handlung nicht auf die Motivation des Handelnden ankommt. Ob man beispielsweise jemanden aus Eigennutz oder Pflichtgefühl rettet ist einerlei, wichtig ist nur das Ergebnis der Handlung. Deshalb kann man selbstverständlich aus utilitaristisch moralisch richtigen Handlungen nicht auf einen guten Charakter des Handelnden schließen.

Einige Kritiker bemängelten am Utilitarismus, dass es unmöglich sei, dauerhaft einen Zustand von Glück zu erreichen. Laut Mill beruht das jedoch auf dem Missverständnis, dass sie Glück mit Überschwänglichkeit, also dem höchsten gerade (positiver) Erregung verwechselten. Dies wäre freilich unerreichbar. Glück nach Mill ist jedoch ein dauerhafter Zustand; eher eine innere Einstellung; ein glückliches Lebensgefühl. Die Kunst ist es, die „beiden Hauptbestandteile eines glücklichen Lebens – von denen jeder oftmals auch für sich ausreicht – (…) [nämlich] tranquillity [Ruhe] und excitement [Erregung]“ in Einklang zu bringen (S. 24).
Damit im Utilitarismus die Neutralität des Entscheidenden – die offensichtlich eine Grundvoraussetzung für die Umsetzung der Regeln ist – gewahrt wird, hat dieser zunächst einmal objektiv so zu entscheiden wie ein „unbeteiligter und wohlwollender Zuschauer“ (S. 30). Darüber hinaus gilt gerade im Utilitarismus die „goldene Regel“. Auch hat auf der einen Seite der Einzelne die eigenen Interessen so weit wie möglich mit denen der Gesellschaft in Einklang zu bringen und auf der anderen Seite die Gesellschaft (bzw. „Erziehung und öffentliche Meinung“, S. 30) ihren gewaltigen Einfluss dazu zu verwenden, „in der Seele jedes einzelnen eine unauflösliche gedankliche Verknüpfung herzustellen zwischen dem eigenen Glück und dem Wohl des Ganzen“ (S. 31).
Was den Vorwurf der „Gottlosigkeit“ angeht, entgegnet Mill, dass es doch gerade im Sinne Gottes ist, das Wohl seiner Schützlinge zu fördern. Demnach wäre das Nützlichkeitsprinzip des Utilitarismus „tiefer religiös als jede andere [Lehre]“ (S. 37.).

Mill legt Nützlichkeit als oberstes Gebot von moralisch richtigem Handeln fest. Eine Handlung ist dann am nützlichsten, wenn sie die Gesamtenge an Glück der Betroffenen maximiert. Mill macht jedoch auch den Ansatz, zwischen unterschiedlicher Qualität von Glück zu entscheiden.
Er setzt damit voraus, dass man Glück und Unglück einzelner Individuen gegeneinander aufrechnen kann. Das ist zwar häufig zwar möglich, aber eben nicht immer. Ein Wert, nämlich die Menschenwürde [die jedoch auch Mill besonders hervorhebt], ist absolut zu setzen – Menschenwürde lässt sich gegen nichts aufwiegen. Für Entscheidungen, welche nicht die Würde eines Individuums herabsetzen, ist Mills Ansatz aber für eine in vielen Fällen nützliche Entscheidungshilfe. Überhaupt sind Theorien, die zielorientiert sind – und zielorientierter als der Utilitarismus kann eine Ethik wohl kaum sein – insofern sehr positiv, als dass sie insgesamt, aus Sicht der gesamten Menschheit betrachtet, ein Höchstmaß an Effektivität fordern.

Quellen

Ein Gedanke zu „John Stuart Mill: Nützlichkeit als Grundlage moralischen Handelns

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

*